„Flying Gang“ – ein Ersteindruck

„Flying Gang“ – ein Ersteindruck

Text: Bernd Kutz
Bilder: Peter Potz, BGG

Am Mittwoch konnten wir zu viert unter Anleitung des Autors Dirk Blech seinen Prototypen von „Flying Gang“ über 4 Runden testen, was der Hälfte der späteren Spiellänge entspricht. Gespielt wurden ca. 2h inklusive Erklärungen und Nachbesprechung.

Cover

Überblick – Setting, Ziele und das liebe Schiff

In „Flying Gang“ übernehmen wir als Kapitän in der Karibik des 17. Jahrhunderts die Kontrolle über ein Piratenschiff der historisch belegten aber wenig dokumentierten gleichnamigen Piratenvereinigung in dem Bestreben am Ende des Spieles durch Kapern fremder Schiffe, gefundene Schätze und erfüllter Aufgaben die meisten Piratenpunkte anzusammeln um als erster die Gelegenheit zu erhalten, den bisherigen Anführer der „Flying Gang“ zu entthronen. Durch diesen finalen Kampf am Spielende ist nicht unbedingt gesagt, dass der Spieler mit den meisten Punkten auch gewinnt – man kann die finale Konfrontation aber auch weglassen wenn man diesen Glücksfaktor nicht möchte. Das Spielende wird eingeläutet am Ende von Runde 8 oder wenn ein Spieler 24 Piratenpunkte erreicht.

Jedes Schiff ist dabei einer der 4 großen Nationen in der Karibik zugeordnet und hat einen kleinen Vorteil der es von anderen abhebt sowie einen festgelegten Starthafen. So ist das französische Schiff wendiger, das spanische besitzt einen größeren Frachtraum, das britische mehr Kanonen und das niederländische ist etwas stabiler gebaut. Im Laufe des Spiels kann in Abhängigkeit von der laufenden Runde, dem angelaufenen Hafen und dem bisherigen Schiff bzw. dessen Verbesserungen dieses durch ein neues ersetzt oder mit (stärkeren) Verbesserungen versehen werden. Dies hat Auswirkungen auf Frachtraum, Kanonen, die verfügbaren Aktionspunkte und anderes. Der zugrundeliegende Tech-Tree ist dabei sehr übersichtlich und auf dem Spielertableau aufgedruckt.

Ablauf einer Runde – Ereignisse, Markt und Aktionen

Zu Beginn einer Runde wird unter 4 möglichen Ereignissen eines gezogen und ausgeführt. Neben Sofort- oder Rundeneffekten hat dieses auch eine Auswirkung auf die Stärke des Gegners am Ende des Spiels.

Danach würfelt der aktive Spieler mit einem W8 auf einer Art „Markt-Kompass“. In Zusammenarbeit mit einer Preistabelle auf der Marker umherwandern und die An- und Verkaufspreise für Zucker, Baumwolle, Tabak und Rum bestimmen ist dies der Dreh- und Angelpunkt für den Handelsaspekt des Spiels. Dadurch dass jeder Spieler zu Beginn seines Zuges würfelt ist stets Bewegung in den Preisen – ein voller Laderaum mit angeblich teurem Rum kann sich im nächsten Hafen bereits als Ramschware herausstellen, eine geklaute Ladung vormals billiger Baumwolle dagegen als Glücksfund.

Wie viele Aktionspunkte ein Spieler zur Verfügung hat wird maßgeblich durch sein Schiff bestimmt. 4 sind die Regel, wendige Schiffe wie Fregatten schaffen im späteren Spiel 5 (oder 6 als Franzose), große Pötte wie Galeonen sind eher schwerfällig mit 3. Diese Aktionspunkte können für Bewegen (was automatisch Kämpfe und Schatzsuchen beinhaltet) und diverse Hafenaktionen wie An- und Verkauf, Reparaturen und Aufbesserungen oder das ziehen von Aufgaben ausgegeben werden. Der Wert des Hafens und sein produziertes Gut haben einen Einfluss darauf was dort prinzipiell in welcher Stärke und wie teuer möglich ist. So können in einem kleinen Hafen keine großen Warenmengen umgeschlagen werden, eine Stadt die Tabak produziert bietet diesen billiger an und nicht jede Verbesserung ist in jedem Hafen verfügbar. Aufgabenkarten erfordern zum Erfüllen Dinge wie das Versenken bestimmter Schiffe, das Plündern eines Hafens oder das Heben eines Schatzes. Auf der Reise dorthin kann indes viel passieren. Neben anderen Schiffen – die man meist angreifen und für Piratenpunkte und Profit versenken kann aber nicht immer muss – hält die Karibik Nebelbänke, Skorbut, Gelbfieber und Bohrwürmer bereit um den ambitionierten Schiffsführer auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.

All hands on deck! – Kämpfe und ihre Folgen

Der Kampf mit einem anderen Schiff, sei es eine zufällige Begegnung in der aktuellen Meereszone oder der gewollte Überfall auf ein anderes Spielerschiff läuft immer über 3 Runden und wird mit Symbolwürfeln ausgefochten die sowohl Symbole für Angriff und Verteidigung besitzen und thematisch sehr gut zugeordnet sind. Einige Verbesserungen erlauben zudem das Aufwerten von Würfeln oder Neuwürfe um den Glücksfaktor etwas zu begrenzen. Bei Nicht-Spielerschiffen repräsentiert die Anzahl der abgebildeten Kanonen zudem ihre Lebenspunkte. Spielerschiffe sind weiter ausdifferenziert und somit etwas robuster. Allerdings merkt man durch den Verlust von Aktionspunkten bei zerfetzter Takelage und ähnlichen Schäden sehr deutlich wenn es Zeit für einen Werftbesuch wird. Eine Spielerelimination gibt es indes nicht – fällt ein Wert auf 0 geht es in den nächsten Hafen zur Pflichtreparatur und der Zug endet.

Ein Sieg bringt neben der Ladung des besiegten Schiffes – die man eventuell gar nicht mitnehmen kann weil der eigene Frachtraum überfüllt ist – meist eine kleine Menge Gold, einen Piratenpunkt und eine Schatzkarte. Segelt man zur angegebenen Stelle und schafft einen einfachen W6-Wurf bekommt man eine dicke Belohnung, meist Piratenpunkte und/oder Gold, abhängig vom Wurf. Ein Scheitern ist indes nicht möglich – man weiß ja wo man graben muss.

Apropos Piratenpunkte: wie viele man angesammelt hat bestimmt maßgeblich, wer dort draußen einem an den Kragen will und wo man sein Schiff wieder zusammenflicken kann. Mit zunehmend schlechtem Ruf verweigern Häfen ihre Dienste und Piratenjäger werden auf das eigene Schiff Aufmerksam. Im Umkehrschluss finden einen Vertreter der kreativen maritimen Eigentumsumverteilung (aka Piraten) irgendwann so sympathisch, dass einem keine überfallartigen Breitseiten mehr den Kurztrip von Havanna nach Port Royal vermiesen. Spart Reparaturkosten.

Käpt`n anstelle des Käpt`ns – Das Spielende und das letzte Gefecht

Wird das Spielende eingeläutet, übernimmt ein Spieler die Rolle des aktuellen Anführers der „Flying Gang“. Der Spieler mit den meisten Piratenpunkten hat nun als erster die Gelegenheit ihn abzulösen. Im Grunde verläuft der Kampf wie ein Gefecht unter Spielerschiffen. Die Stärke des Gegners wird dabei ausgehend vom stärksten Schiffstyp der ersten 3 Runden (einer Brigg) berechnet indem die Effekte der Ereigniskarten hinzugezogen werden. Dies kann in mehr Rumpfpunkten, Kanonen oder sogar in einer höheren Schiffsklasse enden. Durch die 8×4 Kartenmöglichkeiten sind viele Kombinationen denkbar und sorgen für einen hohen Wiederspielwert. Der Kniff: sollte der erste Spieler besiegt werden, regeneriert das Schiff der Flying Gang die Hälfte des erlittenen Schadens und der nächste Spieler bekommt Gelegenheit sein Können zu zeigen.

Wie weiter oben schon erwähnt: wenn man kein Freund eines solchen zusätzlichen Glücksfaktors ist funktioniert das Spiel auch nur über die Ermittlung der Piratenpunkte.

Tavernengeplauder – Fazit und ein Blick zurück

Thematische Spiele in der Segelschiff-Ära gibt es ja schon einige. Von Leichtgewichten mit Push your Luck-Mechanik wie „Dead Men`s Draw“ und „Port Royal“ über das sehr ähnliche „Korsaren der Karibik“, dem Euro „Endeavour: Age of Sail“ bis zu Brocken wie dem aktuellen „Captains Log“ um nur einige zu nennen ist eigentlich für jeden etwas dabei. Ein Spiel in diesem Setting mit einem Fokus auf historische Fakten und den Schiffen dieser Ära, weniger der Crew, läuft manchmal Gefahr zu sehr ins Detail zu gehen und damit eher ein Spiel für spezielle Runden zu werden. Dies ist hier nicht der Fall, vielmehr bekommt man hier ein sehr immersives Spielerlebnis.

„Flying Gang“ schafft es aus meiner Sicht des Seglers und Maritim-Enthusiasten gut den Flair der Zeit die es porträtiert einzufangen. Bis auf einige Kleinigkeiten wie klarere Symbolik, die Positionierung bestimmter Elemente auf der Map und einige noch nicht überarbeitete Texte ist das Spiel schon annähernd fertig. Der Vergleich mit dem älteren „Korsaren der Karibik“ (2010) drängt sich auf. Und auch wenn „Flying Gang“ unabhängig davon entstanden ist, lohnt sich ein Blick auf den thematischen Vorgänger. Beide Spiele teilen sich neben Genre und Setting einige Spielansätze, erzeugen aber durch Differenzen in Pacing, Mechanik und Fokus ein gänzlich anderes Spielgefühl.

Das individuelle Pacing ist bei „Flying Gang“ (gefühlt) etwas höher durch die Verwendung von Aktionspunkten und mit der Limitierung auf 8 Runden sitzt einem auch der Zeitdruck im Nacken sein Schiff rechtzeitig auszubauen und zu punkten. Positiv auch: ein Zug dauert nicht wirklich lange und durch die Involvierung der anderen Spieler bei den Kämpfen kommt wenig echte Downtime auf. Das Wetter hat bis durch Begegnungen auf See weniger Auswirkungen darauf wo ich wie schnell hinsegeln kann. Auch schafft es „Flying Gang“ einen lebendigeren Markt zu kreieren auch wenn dieser hier mehr Mittel zum Zweck ist als ein tatsächlich möglicher Weg zum Sieg wie bei „Korsaren der Karibik“. Diese Fluktuation kann wie oben schon erwähnt Fluch und Segen zugleich sein. Auch im Punkt Begegnungen auf See punktet „Flying Gang“, was einem dort widerfahren kann spiegelt sehr gut die Tücken der damaligen Seefahrt wieder und triggert zudem immer beim Wechsel einer Seezone – dadurch steht eigentlich immer eine Entscheidung an ob man Kapern will oder es lieber sein lässt. Die Kampfsequenzen sind zackig gespielt schnell erlernt. Die Betrachtung zu den Aufgaben- und Schatzkarten fällt mir etwas schwerer da der unterschiedliche Fokus der beiden Spiele auch das Design der Karten beeinflusst. Das Erlangen ist bei „Flying Gang“ einfacher (Schiff versenken für eine Schatzkarte, Aktionspunkt im Hafen ausgeben für Aufgabe), bei der Ausarbeitung liegt „Korsaren der Karibik“ vorne.

Würde ich mir beide ins Regal stellen? Ja. Wenn es ein historisch gut recherchiertes Spiel sein soll und ich Salzwasser schmecken und Kugeln fliegen sehen will, dann „Flying Gang“. Soll es eher das gemütliche Schippern mit Waren und einer gelegentlichen Schatzsuche und Kaperfahrt sein, dann „Korsaren der Karibik“. Sieht man ersteres als thematischen Nachfolger des zweiten dann ist es ein mehr als würdiger.

Bernd Kutz

weitere Informationen:
https://boardgamegeek.com/boardgame/336356/flying-gang

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